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Channel: Club Bellevue » Quadrilogie: »The Beautiful Game«
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Die Niederlage. Ein Sieg.

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Die Niederlage ist eine bittere Pille betörenden Geschmacks. Von der Poesie des Scheiterns. – Text: Christoph Schmiedhofer

Vordergründig geht es natürlich um den Sieg, den Gewinn des Spiels, der Meisterschaft, des Cups, des Turniers. Der Sieg ist das Ziel aller Beteiligten, ja muss es sein, andernfalls bräuchte man ja auch gar nicht erst anzutreten. An ihm dürfen sich nach getaner Arbeit alle berauschen, er schmeckt süß und ist im Idealfall der verdiente Lohn aller Entbehrungen.
Demokratisch-generöse Ex-aequo-Platzierungen haben im Fußball in der Regel keinen Platz. So haben die Verbände im Laufe der Zeit unzählige Parameter geschaffen, um den Sieger bei Gleichstand dennoch festzustellen: Wiederholungsspiele, Verlängerung, Elfmeterschießen, Punkte, Tordifferenz, Auswärtstore, erzielte Treffer, das Ergebnis direkter Duelle, Ranglistenkoeffizienten, ja sogar der Losentscheid mussten und müssen dazu herhalten, bei zwei auf den ersten Blick Gleichen den Besseren festzustellen. Dem Triumph wohnt dabei seine Antithese bereits inne. Das Wesen und die Logik des Wettkampfs erfordern unerbittlich: Wo es einen Sieger gibt, da muss auch ein Verlierer sein.
Bei allem Streben nach dem Sieg und dessen euphorischen Glücksmomenten übersieht man gerne, dass seiner Kehrseite, der Niederlage, ein ganz besonderer Zauber innewohnt. Während der Sieger nach Tagen des Feierns mit zahlreichen neuen, falschen Freunden in Einsamkeit erwacht, sind die Verlierer im Moment des Scheiterns vereint. Noch im Moment der Niederlage, aus der neue Kraft geschöpft werden kann, beginnt für sie der Weg von Neuem, während der Sieger gesättigt erst nach neuer Orientierung suchen muss.
Der Erste blickt zwar von oben herab, hinunter auf die eigenen Leistungen und jene, die dabei auf der Strecke blieben, doch sein Platz ist ein einsamer. Er mutiert zum Gejagten, der Erreichtes verteidigen muss, während sich die anderen gegen ihn verbünden.

Das vereinende Momentum der Niederlage
Im Mikrokosmos des Stadions offenbart sich das verbindende Element des Verlierens in eindrucksvoller Weise. So kehrt beim Gegentreffer in der Fankurve zunächst schlagartig Stille ein, die alsbald eine gespannte ist. Die Luft beginnt zu knistern, so lange kann nicht Stille sein! Wider alle Enttäuschung erhebt sich einzelner Gesang, in den zögerlich da und dort eingestimmt wird, bis sich das trotzige Mantra, aus Idealismus geboren, kraftvoll und rebellisch dem Sieger entgegenstemmt. In diesen Momenten, in denen sich jeder, der Wunde gewiss, wieder aufrichtet, werden die Bande zum Klub enger geknüpft, als es der berauschendste Sieg jemals vermag. In diesen Momenten erlangt die Niederlage eine ebenso zarte wie zerbrechliche Schönheit, die sie weit über die offensichtliche Banalität des Sieges und seine Marktschreier stellt. Anders als beim Sieg manifestiert sich die Ästhetik der Niederlage nicht unmittelbar. Sie benötigt Zeit und Abstand, um ihre Reize zu offenbaren. Während jeder nach dem süßen Geschmack des Gewinnens giert, lernt man den zartherben Beiklang des Verlierens erst mit der Zeit zu schätzen. Ist einem die Anmut der Niederlage solcherart bewusst geworden, lässt sich das gesamte Gefühlsspektrum, das der Fußball mit sich bringt, erst richtig genießen. Zu bemitleiden sind da die Anhänger der notorisch erfolgreichen Großvereine, die die Achterbahnfahrten durch die Tabellen, die tränenreichen Misserfolge und die glanzlosen Dekaden im Mittelfeld der Bedeutungslosigkeit bestenfalls erahnen können. Wer mag schon Gustav Gans? Aus gutem Grund dürfen daher die in den mitunter langen Momenten der Niederlage zusammengeschweißten Fans die erfolgsverwöhnte Arroganz des Großklub-Anhängers verachten und zumindest argwöhnisch auf jene Leute blicken, die nach einem halben Dutzend Siegen der Mannschaft plötzlich wieder den Weg ins Stadion finden.

Siege erzeugen Helden, Niederlagen Ikonen
Die Niederlage zeichnet auch ihre Dramatik aus, die der Dramatik des Sieges das poetische Momentum voraus hat. Mehr noch als ein Sieg kann die Niederlage eine Mannschaft größer machen, Sympathien wecken. Zur Überfigur wird der Held erst in der Stunde seiner größten Niederlage, aus der er märtyrerhaft hervorgeht. »Auch eine Niederlage kann großes Kino sein. Es ist hoch dramatisch, wenn man kurz vor Erreichen des großen Ziels scheitert«, meinte dazu Sönke Wortmann, Regisseur des Dokumentarfilms über das Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2006 »Deutschland. Ein Sommermärchen«. Gerade dieser dramatische Augenblick des Halbfinal-Aus ließ die Euphorie über die Leistungen der Nationalelf in grenzenlose Sympathie umschlagen.
Ein Sieg, so dramatisch er auch sein mag, wird stets durch die Dramatik der Niederlage, die er zwangsläufig erzeugt, überflügelt. Ihr steht das schicksalhafte Element zur Seite, das Vereine für viele Dekaden zum Mittelmaß und deren Anhänger zu einer Schicksalsgemeinschaft macht. Letztendlich ist die Niederlage aufrichtiger und wahrhaftiger als der Gewinn.

Die Grenzen der Schönheit
Gleichwohl hat der Charme der Niederlage seine Grenzen, sowohl im Hinblick auf die Höhe wie auch auf die Dauer. Ist ein 0:3 noch verkraftbar und lässt erhobenen Hauptes den Aufenthalt im Tal der Tränen genießen, sind Debakel ungeeignet, die malerischen Seiten des Verlierens herauszustreichen. So ist es nicht zuletzt das Wechselspiel mit dem Sieg, das zur Schönheit der Niederlage entscheidend beiträgt und in dessen Momenten man sich mit wohligem Schauder an die Auswärtsniederlagen beim Tabellenschlusslicht erinnert.


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